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Die Perücken-Hydra

Die Wissenschaft kennt für viele unserer Probleme eine Lösung. Sie heilt tödliche Krankheiten, kann Atome spalten. Für ganz banale Dinge hat sie hingegen bis heute keine Erklärung. Für Perücken zum Beispiel. Wie entstehen sie, wie lassen sie sich wieder lösen? Jeder von uns kennt diesen Augenblick, wenn es beim Wurf in der Schnur hakt.

Verdammt, Perücke! Dabei hatte das Unheil bei mir scheinbar harmlos angefangen. Beim Einholen meiner Montage hatte ich mir eine kleine Schlaufe auf die Spule gekurbelt. Nichts Wildes, aber zu weit unten, als dass ich sie mit ein paar Schlägen hätte wieder abziehen können.

Also ein Überkopfwurf, locker aus dem Handgelenk, dann würde die Schlaufe so schnell verschwinden, wie sie gekommen war. Ganz einfach, ganz banal. Als echter Angler glaubt man schließlich an Wunder.

Wie kann man nur so blöd sein? Ich hätte es wissen müssen: So funktioniert das nie.“

Doch noch im Vorschwung meiner Rute beschlich mich eine dunkle Vorahnung. Leider dauerte die Übertragung Hirn-Nervenbahnen-Hand einen Tick zu lange. Zu lange, um meine Vorwärtsbewegung noch stoppen zu können. Zwar gelang es mir – mit dem Finger auf der Spule – die weitere Schnurfreigabe zu blockieren.

Zu spät.

Beim Anblick des wie durch Zauberhand vor meinem Führungsring entstandenen Schnur-Wirrwarrs fühlte ich mich wie der Oberdepp aller Karpfenangler. Wie kann man nur so blöd sein? Ich hätte es wissen müssen: So funktioniert das nie. Nun war aus meiner anfänglich harmlosen Schlaufe ein faustgroßes Knäuel entstanden. Natürlich war mein erster Gedanke, die Schnur zu kappen und wieder zusammen zu knoten.

Problem gelöst.

Aber ich mag keinen Knoten in der Schnur. Egal wie gut man einen Knoten bindet, er bleibt die schwächste Stelle in der Verbindung von mir zum Fisch. Zudem bremst ein Knoten den Schnurablauf beim Wurf, und beim Ablegen mit dem Boot kann sich die Schnur darin verhaken, so dass ich meine soeben abgelegte Montage wieder vom Spot zerre.

Nach etwa einer Viertelstunde Gefummel war aus dem anfänglich faustgroßen Knäuel ein etwa Fußball-großes Durcheinander mit vielen blinden Enden geworden.“

Einfach die Schnur samt Perücke abschneiden? Dafür war die Perücke zu weit hinten. Ich hätte auf gut 30 Meter Schnur verzichten müssen. Angesichts meiner ohnehin knapp bemessenen Spulenfüllung nicht meine erste Option. So zwang mich mein Ehrgeiz, das Unmögliche zu versuchen. Ja, ich wollte das Perückenlösen endlich zur Wissenschaft machen.

Nach etwa einer Viertelstunde Gefummel war aus dem anfänglich faustgroßen Knäuel ein etwa Fußball-großes Durcheinander mit vielen blinden Enden geworden. So eine Art Hydra. Hatte ich an der einen Stelle eine Schlaufe entwirrt, entstanden an einer anderen drei neue. Es schien aussichtslos. Selbst mit einem Dutzend Hände wäre ich der Lösung des Rätsels nicht näher gekommen.

Im Gegensatz zu den bekannten Zauberwürfeln gibt es im Falle mancher Perücken vermutlich gar keine Auflösung. Egal, wie lange man daran werkelt. Nach einer guten halben Stunde war ich mit meinen Nerven am Ende und von einer Auflösung weiter entfernt als manch ein Karpfen-Hipster vom Bartwuchs.

Nach einer Dreiviertelstunde kam schlussendlich meine Schere zum Einsatz. Zugegeben, wieder keine wissenschaftliche Lösung.

Aber es war wenigstens eine.

Kay Synwoldt