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Willst´e ma kieken?

von Kay Synwoldt

„Social Media ist die Latrine des Internets.“ Stammt nicht von mir, sondern von Lady Gaga. Hätte nie gedacht, dass ich einmal einen solchen Weltstar werde zitieren können. Aber genau das hat sie in einem Interview gesagt. Mit knapp 46 Millionen Followern auf Instagram sollte sie es wissen. Und ich hätte es nicht besser auf den Punkt bringen können.

Facebook, Instagram & Co sind die Plattformen, auf denen die selbsternannten Web-Muezzine ihre immer gleichen Scheißhausparolen ohne großen Aufwand und tagtäglich aufs Neue als frohe Kunde präsentieren können. Es sind die Plattformen, die über ein ausgeklügeltes System von Posts, Likes, Kommentaren, Hastags und Gott weiß was sie in Zukunft noch alles erfinden werden, die perfekten Tools für den permanenten Schwanzvergleich liefern. Und der geht logischerweise am leichtesten von der Hand, wenn dafür alle schön aufgereiht an derselben Pissrinne stehen.

„Willst´e ma kieken?“, heißt es dann von rechts und von links.
Nein, will ich nicht! Interessiert mich nicht. Ich weiß, wie es in Nachbars Hose aussieht, ich habe so etwas schon mal gesehen. Und um anders lautenden Vermutungen vorzubeugen – ich weiß auch, wie ein Karpfen aussieht.

Wofür dann der ganze Smalltalk bei stickiger Luft und flackerndem Neolicht?
Dabei ist eben dieser „Smalltalk“ todernst gemeint. Beim Schwanzvergleich geht es schließlich um was. Es geht um Anerkennung, Stärkung des Selbstwertgefühls und unter Karpfenanglern geht es buchstäblich um den Längsten – Verzeihung, den Schwersten.

Lieber nicht mit heruntergelassener Hose herumlaufen. Das würde man auf offener Straße doch auch nicht tun.“

„Halt stopp!“, höre ich an dieser Stelle schon die vielen Freunde der leichten Unterhaltung schreien.
„Social Media ist nicht ausschließlich schlecht. Die modernen Netzwerke fördern die Kommunikation, sind informativ und ermöglichen es uns, unser Leben mit anderen zu teilen.“

Stimmt. Man kann dort Informationen finden, Kontakte knüpfen und Inspiration oder erheiternden Zeitvertreib erleben. Jedenfalls solange wir mit unserer tragbaren Gehirnprothese in der Hand nicht unbemerkt in die digitale Stressfalle tappen und uns von ihr vereinnahmen lassen. Möglichst viel Abstand halten bleibt deshalb für mich oberstes Gebot. Lieber nicht mit heruntergelassener Hose herumlaufen. Das würde ich auf offener Straße doch auch nicht tun.

Es bleibt eine scheinheilige Social-Media-Welt, in der wir Karpfenangler uns bewegen. Eine verzerrte Welt, die uns schnell in ihren Bann ziehen kann. Eine Scheinwelt – geprägt von fehlendem Respekt, Geringschätzung, Neid und nicht selten sogar offenem Hass.

Social Media bleibt eine Welt, die uns in Wahrheit schlecht gelaunt, oft sogar frustriert zurücklässt.“

Vergessen wir nicht: Selbst unser als Erheiterung wahrgenommener Zeitvertreib basiert nicht selten auf Schadenfreude oder der Gelegenheit von Lästereien. Wir machen uns also eher über andere lustig, zerreißen uns die Mäuler, anstatt echte Freude zu empfinden.

Social Media bleibt eine Welt, die uns in Wahrheit schlecht gelaunt, oft sogar frustriert zurücklässt. Das ist wissenschaftlich belegt! ALLE Langzeitstudien zum Thema kommen zum selben Ergebnis. Keine Überraschung, wenn man wie in unserem Fall mit jedem weiteren Klick riesige Fische um die Ohren gehauen bekommt. Jeder scheint zu fangen. Nur Dicke, immer und überall.

Und überhaupt: Arbeiten muss scheinbar niemand. Alle haben unbegrenzte Zeit und können sich den ganzen Tag ausschließlich um ihre Angelei zu kümmern – während wir selbst kaum ans Wasser kommen und unser letzter Eintrag im Fangbuch Wochen zurück liegt.
Als Beobachter kann ich dabei nur schlechte Laune bekommen.

Wer würde sein mühsam erarbeitetes (Erfolgs-)Rezept freiwillig an die Wand der nächstbesten öffentlichen Latrine schmieren?“

Ein Loser wie ich kann da sowieso nicht mithalten. Will ich auch nicht. Dafür müsste ich zuerst andere Gewässer befischen – gut besetzte „Poser-Gewässer“, an denen ich regelmäßig etwas fange.
Und was ich auch nicht will: Mein Angeln (oder mein Leben) mit allen Menschen teilen.
Wofür auch? So spannend ist es nicht. Schließlich beschäftige ich mich hinter den Kulissen nicht mit Hexerei oder entwickle im stillen Kämmerlein einen neuen Wunderköder.

Würde ich den entwickeln, hätte ich sicher Besseres zu tun, als meine Erkenntnisse mit den ganzen Web-Schmarotzern zu teilen.
Mal ehrlich: Wer würde sein mühsam erarbeitetes (Erfolgs-)Rezept freiwillig an die Wand der nächstbesten öffentlichen Latrine schmieren?
So blöd kann niemand sein.

Wirklich relevante Dinge finden sich nirgendwo an die Wand geschmiert. So uneigennützig, wie viele Internet-Helden gerne tun, sind sie nämlich nicht. Es ist lediglich ihre Taktik, um ANDEREN relevante Informationen aus der Nase zu kitzeln – ohne dafür eigene Opfer bringen zu müssen.
Motto: Nehmen gilt als Menschenrecht, Geben ist für die Doofen.

Meine erste Wahl werfe ich nicht freiwillig den oberflächlichen Internet-Geiern zum Fraß vor.“

Über Social-Media-Kanäle Fotos hochzuladen bleibt für mich wie das Ende eines Stuhlgangs: Wuuusch – und weg, verschwunden im Ozean der Belanglosigkeiten.
Warum sollte ich mein bestes Bildmaterial einfach so die imaginäre Schüssel hinunter spülen? Fotos, die normalerweise nicht im Vorbeigehen entstehen, für die ich buchstäblich im Dreck gelegen habe oder die einen Moment einfangen, auf den ich mitunter Jahre warten musste.
Die sollen nicht als Ramschware auf einem Wühltisch der Eitelkeiten enden, dafür haben sie für mich einen viel zu hohen Stellenwert. Sicher nicht, solange ich mein Material in gedruckter Form angemessener und mit mehr Tiefgang präsentieren kann.

Als Chefredakteur von Carp in Focus kann ich mich Job bedingt aus diesem Online-Zirkus leider nicht ganz heraushalten. Aber ich kann zum Glück selbst entscheiden, was ich im Web veröffentliche und was nicht. Selbstkontrolle, die viele Zeitgenossen längst verloren haben. Für sie gilt die Maxime: Alles muss raus! Sie können offenbar gar nicht mehr anders. Meinen Segen haben sie, irgendwer muss den Laden ja am Laufen halten.

Bei mir bleiben relevante Bilder im Internet außen vor. Zweite Wahl oder alte Bilder sind dafür immer noch gut genug. Denn selbst mit meinem aussortierten Material brauche ich mich nicht zu verstecken. Zumal die Qualität der Bilder für die so begehrten Likes ohnehin nur eine den Algorithmen, den Seilschaften im Hintergrund, dem Symphatiefaktor und nicht zuletzt dem finanziellen Einsatz untergeordnete Rolle spielt.
Wer etwas anderes glaubt, glaubt auch an den Weihnachtsmann.

Meine Web-Bilder sind Mittel zum Zweck, es ist Promotion, daraus will ich gar keinen Hehl machen. Damit kann ich Werbepartnern einen Mehrwert bieten. Solange die es gut finden, geht das für mich auch in Ordnung. Ab und zu ein schönes Stimmungs- oder Detailbild darf auch mal sein. Was spricht dagegen?

Warum also zum Rumpimmeln freiwillig mit den vielen Selbstdarstellern in eine Reihe stellen?“

Aber meine aktuelle Angelei ist und bleibt privat, meine (großen) Fische fange ich nicht fürs Internet. Ehrliche Anerkennung kann ich dort ohnehin nicht erwarten. Wie soll das gehen, wenn sich kaum jemand mehr als 2 Sekunden Zeit nimmt, ein Bild zu betrachten? Womöglich noch auf einem mini Handy-Display. Auf den Social-Media-Plattformen will niemand wissen, welche Entbehrungen für einen Fangerfolg nötig waren. Aber sind es nicht gerade diese Begleitumstände, die den Stellenwert eines Fanges wesentlich mitbestimmen? Ohne Hintergrundinformationen zu Fangumständen oder Gewässer hat das Bild von einem (großen) Fisch also wenig Aussagekraft, jede Veröffentlichung käme einer Geldentwertung gleich.

Mich zum Rumpimmeln mit den vielen Selbstdarstellern in eine Reihe zu stellen, kann ich mir also sparen.
Unsere einzige Gemeinsamkeit wäre ohnehin nur die Frage: Wer hat den Größten?
Mir ist es buchstäblich Latte!

Nein, ich brauche diesen nichtssagenden Schwanzvergleich nicht. Meiner Fischerei schadet der nur, dafür ist mir meine Zeit zu schade. Ich habe genügend Selbstwertgefühl und mache bei dem Gepose nicht mit. Ganz bestimmt nicht auf einer öffentlichen Toilette. Da hole ich mir höchstens eine üble Geschlechtskrankheit.