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Digital Detox

Nach jedem Jahreswechsel die gleiche Leier mit den guten Vorsätzen. Mit dem Rauchen aufhören, weniger Fettiges essen, weniger Alkohol trinken, mehr Sport treiben. Und: weniger stressen.
Die Klassiker unter Karpfenangler lauten eher: häufiger Angeln, endlich den Zielfisch aus dem Hausgewässer fangen und neue Gewässer erkunden oder beangeln.

Neben diesen Standard-Vorsätzen höre ich in jüngster Zeit immer häufiger ein weiteres Vorhaben: Digital Detox. Klingt ähnlich hip wie Nachhaltigkeit, die sich heute jeder gerne auf die Fahnen schreibt. Mit Digital Detox ist gemeint: Eine Pause von digitalen Medien machen. Unterschreibe ich. Aber wofür braucht es dafür eine hippe Wortschöpfung?
Einfach mal das Smartphone ausschalten und gut. Oder erst gar nicht die üblichen Stress-Apps wie facebook, Instagram oder WhatsApp draufladen. Dann hat man automatisch weniger Gebimmel und es braucht erst gar kein Digital Detox.
Leichter gesagt als getan. Schließlich dominiert das Gefühl: Ohne Insta-Profil oder Youtube-Kanal ist man im digitalen Zeitalter nicht relevant, kann nicht mithalten.

Aber mal ehrlich: Wie relevant ist man tatsächlich, nur weil man auf einer dieser Plattformen viele Follower generiert hat? Und: Ist es das wert, dafür den Spaß an seinem Hobby zu riskieren? Ich entstamme einer Generation, die erfahren hat, dass ein Überleben ohne Social Media möglich ist.
Nicht nur das: Im Vergleich ist das Leben ohne sogar viel angenehmer und effektiver.

Immerhin: Wie groß das Problem damit heute offenbar schon ist, zeigt die auf den zweiten Blick durchaus kreative Bezeichnung: Detox bedeutet nämlich Entgiftung.
Und das ist übermäßiger Smartphone-Konsum tatsächlich: Gift!
Zeigt sich spätestens, wenn man seine digitale Hirnprothese ausschaltet. Für viele ruft die Abkoppelung vom Netz deutliche Entzugserscheinungen hervor. Wie bei einem Heroin-Junkie, der kalt gestellt wird. Tatsächlich sind die Langzeitfolgen übermäßigen Handykonsums mit denen harter Drogen vergleichbar: Konzentrationsmangel, nachlassende Hirnleistung, der Verlust einfachster motorischer Fähigkeiten – letztendlich die digitale Verblödung.
Nachhaltige Schäden für unsere Psyche, wie chronische Unzufriedenheit und Depressionen noch gar nicht berücksichtigt.
Ist doch irre!

Aber keine Sorge, es naht Hilfe. Und zwar, welch´ Überraschung, in Form passender Apps, die uns beim Entzug unterstützen. Die wir dafür aber erst auf unsere digitale Stressfalle laden müssen. Paradox!
Was für ein Glück, dass ich diese Errungenschaft unserer verkrüppelten Gesellschaft nicht brauche.
Mein Smartphone nutze ich ganz oldschool fast ausschließlich fürs Telefonieren. Der direkte Kontakt ist mir lieber. Mein Social-Media-Konsum beschränkt sich auf die geschäftliche Notwendigkeit. Ein (vielleicht) notwendiges Übel. Mehr nicht.
Wenngleich ich auch so zu viel mit Insta & Co. beschäftigt bin, brauche ich kein Digital Detox.

Und was soll das überhaupt bringen, wenn man seine Prioritäten nicht nachhaltig ändert? Das Smartphone zwischendurch ausschalten und danach weitermachen wie bisher? Genauso sinnvoll wie die nach jedem Jahreswechsel beliebte Crash-Diät, wo hinterher der gefürchtete Jojo-Effekt verlorenen Kilos schneller zurückbringt als zuvor.
Was mich betrifft, habe ich für das neue Jahr keine Vorsätze formuliert. Mein Angeljahr lasse ich jetzt, Anfang Januar, auf mich zu kommen. Und den Stress, meine Fänge mit jedem teilen zu müssen, kenne ich sowieso nicht.

Kay Synwoldt